I. Ausgangslage
Ein Arbeitgeber führt für die Arbeitnehmer ein (elektronisches) Arbeitszeitkonto. Sollen dort erfasste Arbeitsstunden ausgeglichen werden, muss über das Zeiterfassungsprogramm ein Antrag auf Freizeitausgleich gestellt werden, der der Genehmigung des Arbeitgebers bedarf. Nachdem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers fristlos gekündigt hatte, schlossen die Parteien im Kündigungsschutzprozess einen gerichtlichen Vergleich. Danach endet das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Arbeitgeberkündigung mit Ablauf des 31. Dezembers. Außerdem heißt es in dem Vergleich:
„Die Beklagte stellt den Kläger unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung bis einschließlich 31.12 unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung frei. Urlaubsansprüche des Klägers werden mit der Freistellung in natura gewährt.“
Eine Abgeltungs- bzw. Ausgleichsklausel enthält der Vergleich nicht.
Zum 30. September wies das Arbeitszeitkonto des Klägers einen Saldo zu seinen Gunsten von 67,10 Stunden auf.
Variante:
Zum 30. September wies das Arbeitszeitkonto des Klägers einen Saldo zugunsten des Arbeitgebers von 40,33 Stunden auf.
Ein Arbeitszeitkonto hält im Allgemeinen fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611 a Abs. 1 Satz 1 BGB erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands nicht erbringen musste und deshalb Vergütung beanspruchen kann bzw. in welchem Umfang er noch Arbeitsleistung für die vereinbarte und gezahlte Vergütung erbringen muss (BAG-Urteil vom 29.06.2016, BAGE 155, 310). Abhängig von der zugrundeliegenden Abrede der Vertragsparteien kann ein Arbeitszeitkonto den Vergütungsanspruch verbindlich bestimmen (BAG-Urteil vom 10.11.2010, BAGE 136, 152) oder für die Höhe eines Anspruchs auf Freizeitausgleich oder die Höhe eines Vorschusses maßgebend sein (BAG-Urteil vom 21.03.2012, BAGE 141, 88). Begehrt der Arbeitnehmer die Abgeltung eines Guthabens auf seinem Arbeitszeitkonto, macht er folglich nur den Vergütungsanspruch für vorgeleistete Arbeit geltend (BAG-Urteil vom 23.09.2015, BAGE 152, 315).
Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geht regelmäßig die Schließung des Arbeitszeitkontos einher, ein Freizeitausgleich ist nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers nicht mehr möglich (BAG-Urteil vom 26.06.2013 – 5 AZR 428/12 – Rn. 22 f.). Wenn nicht ausdrücklich anderes vereinbart ist, enthält die einvernehmliche Einrichtung eines Arbeitszeitkontos die konkludente Abrede, dass das Konto spätestens mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugleichen ist (BAG-Urteil vom 13.12.2000 - 5 AZR 334/99 - zu II 2 c).
1. Positivsaldo
Gelingt es vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht, ein positives Guthaben des Arbeitnehmers durch entsprechende Freizeit abzubauen, hat der Arbeitgeber den Positivsaldo finanziell auszugleichen (BAG-Urteil vom 20.11.2019 – 5 AZR 578/18 Rn. 15).
Wird bei einem Vergleich mit einer Freistellung lediglich vereinbart, dass Urlaubsansprüche mit der Freistellung in natura gewährt werden, erfüllt der Arbeitgeber im Anschluss an den Vergleich nur seine Verpflichtung aus dem Vergleich, bewirkt jedoch nicht zugleich die dem Arbeitgeber aus der der Führung des Arbeitszeitkontos zugrundeliegenden Vereinbarung obliegende Leistung „Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos“ im Sinne des § 362 Abs. 1 BGB. Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen, die eine Freistellung haben kann, muss der Arbeitnehmer erkennen können, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos von der Arbeitspflicht freistellen will.
Die „Freistellung von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung“ im Vergleich hat nach dem Willen der Parteien bei Vergleichsschluss primär „Abfindungscharakter“. Mit ihr wird lediglich die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers aufgehoben, weitere Rechtsfolgen regelt sie jedoch nicht (BAG-Urteil vom 23.01.2008 – 5 AZR 393/07 – Rn. 13).
Enthält ein Vergleich zudem keine Abgeltungs- bzw. Ausgleichsklausel dahingehend, dass mit ihm alle oder zumindest alle finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung abgegolten sind, so hilft auch dies nicht weiter.
2. Negativsaldo
Befinden sich auf dem Arbeitszeitkonto des Arbeitnehmers bei seinem Ausscheiden noch Minusstunden, darf der Arbeitgeber Entgelt hierfür nur kürzen bzw. zurückfordern, wenn dies arbeitsvertraglich vereinbart ist (BAG-Urteil vom 21.03.2012 –5 AZR 670/11).
Hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich gekündigt und haben die Parteien in einem Vergleich Freistellung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses vereinbart, ist dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Erbringung der Minusstunden genommen. Dies geht zulasten des Arbeitgebers (Urteil des Landesarbeitsgericht Nürnberg vom 19.05.2021 - 4 Sa 423/20 - Rn. 48).
Wird zusätzlich eine Klausel in den Vergleich aufgenommen, die besagt, dass die Freistellung unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche und etwaige Zeitguthaben erfolgt, ist diese Klausel ohne Vorliegen weiterer Anhaltspunkte dahingehend zu verstehen, dass auch eventueller Streit über den Stand des Arbeitszeitkontos beseitigt werden soll und auch Minusstunden nicht mehr geltend gemacht werden können (Rn. 50). Bei einer vereinbarten Freistellung muss der Arbeitnehmer wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen, die die Freistellung haben kann, erkennen können, dass der Arbeitgeber ihn (auch) zur Erfüllung des Anspruchs auf Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos von der Arbeitspflicht freistellen will (s.o.). Umgekehrt muss er dann aber auch erkennen können, dass die Freistellung nicht gleichzeitig bedeuten soll, dass der Arbeitgeber, der ja mit der Freistellung auf die Arbeitsleistung insgesamt verzichtet, dennoch in diesem Zeitpunkt etwa vorhandene Minusstunden vom Gehalt abziehen will. Es wäre widersprüchlich, wenn mit einer solchen Klausel nur ein eventuelles Zeitguthaben erfasst wird, Zeitschulden aber von der Vergütung noch abziehbar sind.
Soll der Arbeitnehmer etwaige Ansprüche auf Auszahlung von Guthabenstunden verlustig gehen, muss dies daher ausdrücklich vereinbart werden. Dasselbe gilt, wenn der Arbeitnehmer trotz der Freistellung, die ihn am Ausgleich etwaiger Minusstunden hindert, mit entsprechenden Entgeltabzügen rechnen muss.
Seien Sie vorsichtig bei der Formulierung von arbeitsrechtlichen Vergleichen und lassen Sie sich lieber anwaltlich beraten. Denken Sie bei einer Freistellung nicht nur daran, dass die Freistellung unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche erfolgt, um eine Urlaubsabgeltung zu vermeiden, sondern denken Sie auch daran, dass Regelungen bezüglich eines Arbeitszeitkontos im Vergleich getroffen werden, damit Sie nicht unerwartet für ein Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto zahlen müssen bzw. bei einem Negativsaldo keine Kürzung des Arbeitsentgelts bzw. Rückforderung des Arbeitsentgelts geltend machen können. Auf jeden Fall sollte immer an eine Abgeltungs- bzw. Ausgleichsklausel gedacht werden.