Die Überschwemmungen vom 14.07.2021 haben einen immensen Schaden verursacht. Bei Unternehmen, die durch die Überschwemmungen betroffen sind, stellt sich arbeitsrechtlich unter anderem die Frage, ob dem Arbeitnehmer auch dann ein Vergütungsanspruch zusteht, wenn der Arbeitgeber aufgrund der Überschwemmung den Arbeitnehmer – jedenfalls derzeit – nicht beschäftigen kann.
II. Rechtlage
Bei den Überschwemmungen vom 14.07.2021 stellt sich also im Prinzip die gleiche Frage wie bei der Schließung von Betrieben aufgrund der Corona-Pandemie.
In beiden Fällen behalten die Arbeitnehmer ihren Anspruch auf Fortzahlung des Gehaltes. Die Arbeitnehmer sind zwar arbeitsfähig und arbeitswillig, die Erbringung der Arbeitsleistung ist jedoch objektiv unmöglich. Nach § 275 Abs. 1 BGB wird der Arbeitnehmer von seiner Leistungspflicht befreit und verliert an sich nach Maßgabe des § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich auch seinen Vergütungsanspruch. Diese Regeln werden jedoch durch § 615 Satz 3 BGB modifiziert. Danach kann ein Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung auch dann verlangen, wenn eine Pflicht zur Arbeitsleistung besteht und die Arbeit infolge von Umständen ausfällt, für die der Arbeitgeber das Risiko trägt. § 615 Satz 3 BGB meint das von der Rechtsprechung entwickelte Betriebsrisiko. Im Wesentlichen geht es hierbei um von außen auf den Betrieb und seine Betriebsmittel einwirkende Ursachen, die sich für den Arbeitgeber als höhere Gewalt darstellen, wie z. B. Naturkatastrophen, Brände oder anderweitige Unglücksfälle. Der Arbeitgeber gerät somit in einen Annahmeverzug nach § 615 BGB. In den Fällen des Annahmeverzuges ist der Arbeitgeber verpflichtet, das Gehalt weiterzuzahlen.
Nach dem Urteil des LAG Düsseldorf vom 30.03.2021 (8 Sa 674/20) trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko nicht nur bei Überschwemmungen, sondern auch in der Pandemie. In diesem Urteil nimmt das Gericht ganz ausdrücklich Fälle höherer Gewalt wie Naturkatastrophen in Bezug und erwähnt ausdrücklich Überschwemmungen.
Gerade die Möglichkeit des Arbeitgebers, mittels Einführung von Kurzarbeit und Beantragung von Kurzarbeitergeld das Lohnrisiko auf die Solidargemeinschaft abzuwälzen, spricht dafür, dass der Arbeitgeber zunächst einmal das Betriebsrisiko im Verhältnis zum Arbeitnehmer tragen muss. Denn sonst könnte ein Arbeitgeber die Gewährung von Kurzarbeitergeld an seine Arbeitnehmer durch schlichte Passivität unterlaufen, indem er keine Kurzarbeit mit seinen Arbeitnehmern vereinbart und die erforderliche Anzeige des Arbeitsausfalls nicht erstattet. Bei Nichtanwendung des § 615 Satz 3 BGB hätte der Arbeitgeber im Falle eines Lockdowns oder einer Überschwemmung daran kein wirtschaftliches Eigeninteresse: er müsste den Arbeitsausfall ja so oder so nicht bezahlen. Betroffene Arbeitnehmer könnten dagegen weder Leistungen ihres Arbeitgebers noch der Bundesagentur für Arbeit beanspruchen.
1. Kurzarbeitergeld
Der Arbeitgeber hat in erster Linie die Möglichkeit, in Fällen der behördlichen Schließung des Betriebes oder in Fällen von Überschwemmungen Kurzarbeitergeld bei der zuständigen Agentur für Arbeit zu beantragen.
Dies setzt jedoch voraus, dass die Mitarbeiter bereit sind, eine Vereinbarung über den Umfang der Kurzarbeit zu treffen und insbesondere bereit sind, statt des Gehaltes 60 % bzw. 67 % Kurzarbeitergeld zu akzeptieren. Hier kommt es also auf die Solidarität zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber an.
Arbeitsausfälle, die aufgrund des Hochwassers eintreten, beruhen auf einem unabwendbaren Ereignis, sodass die Einführung von Kurzarbeit und damit die Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld aufgrund eines unabwendbaren Ereignisses in Betracht kommt.
Der Arbeitsausfall muss dabei unmittelbar auf dem unabwendbaren Ereignis beruhen. Ein Betrieb kann aber auch nur mittelbar von den Auswirkungen der Naturkatastrophe betroffen sein, weil z. B. deshalb nicht produziert werden kann, da die Zulieferbetriebe durch unmittelbare Hochwasserbetroffenheit nicht liefern können. Auch hierfür kann Kurzarbeitergeld gezahlt werden. Kurzarbeitergeld kann auch für die notwendige Dauer der Aufräumarbeiten bis zur Aufnahme der Produktion gewährt werden.
2. Auswirkung des Tragens des Betriebsrisikos durch den Arbeitgeber
Nicht immer erhält der Arbeitnehmer jedoch Kurzarbeitergeld. So darf das Arbeitsverhältnis z. B. nicht gekündigt und nicht durch Aufhebungsvertrag aufgelöst sein.
Bei dem dem Urteil des LAG Düsseldorf vom 13.03.2021 zugrundeliegenden Sachverhalt hatte die Arbeitnehmerin das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 30.04.2020 gekündigt.
In der Pressemitteilung des Gerichts vom 16.04.2021 heißt es:
„Pandemiebedingt war die Beklagte zunächst aufgrund behördlicher Allgemeinverfügung gezwungen, ihren Betrieb ab dem 16.03.2020 zu schließen. Kurze Zeit später untersagte § 3 Abs. 1 Nummer 6 der Coronaschutzverordnung NRW den Betrieb von Spielhallen. Bei Aufrechterhaltung des Betriebes hätte die Klägerin nach Maßgabe des Dienstplans im Monat April 2020 insgesamt 62 Stunden gearbeitet. Da das Arbeitsverhältnis der Klägerin am 30.04.2020 endete, bezog sie kein Kurzarbeitergeld. Die Klägerin begehrt mit der Klage unter anderem Annahmeverzugslohn für 62 ausgefallene Arbeitsstunden im Monat April 2020.“
Die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hat der Klägerin ebenso wie das Arbeitsgericht Wuppertal die Vergütung für die ausgefallenen 62 Arbeitsstunden zugesprochen. Dies folgt aus § 615 Satz 1 BGB i.V.m. § 615 Satz 3 BGB, weil die Beklagte sich in Verzug mit der Annahme der Arbeitsleistung befand. Nach der gesetzlichen Wertung des § 615 Satz 3 BGB trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko. Dies sind Ursachen, die von außen auf den Betrieb einwirken und die Fortführung des Betriebs verhindern. Nach der bisherigen Rechtsprechung erfasst dies auch Fälle höherer Gewalt, wie z. B. Naturkatastrophen, Erdbeben, Überschwemmungen oder extreme Witterungsverhältnisse. Um ein solches Ereignis handelt es sich bei der aktuellen Pandemie. Dass die durch die Coronaschutzverordnung bedingte staatliche Schließung dieses Risiko zulasten der Spielhalle verwirklichte, ändert daran nichts. Auch eine durch eine Pandemie begründete Betriebsschließung rechnet zum Betriebsrisiko im Sinne von § 615 Satz 3 BGB. Es ist mangels klarer Abgrenzbarkeit nicht darauf abzustellen, ob diese Schließung eine gesamte Branche, die zunächst als solche abzugrenzen wäre, oder nur einzelne Betriebe dieser Branche, ggfs. bundesweit, nur in einzelnen Ländern oder aber örtlich begrenzt erfasst. Deshalb kann nicht auf die Reichweite des behördlichen Verbots abgestellt werden. Ein Fall, in dem die Klägerin ihre Arbeitskraft überhaupt nicht mehr verwerten konnte, was ggfs. zu deren allgemeinem Lebensrisiko gehört, war nicht gegeben.
III. Unser Tipp
Gerne sind wir für den Fall, dass Sie von den Überschwemmungen vom 14.07.2021 betroffen sind, bei der Beantragung von Kurzarbeitergeld behilflich. Ferner gibt es bei der Abwicklung eines Arbeitsverhältnisses fast immer Hürden, die sich durch eine Beratung von Rechtsanwälten im Hintergrund, die wie wir über Erfahrung im Arbeitsrecht verfügen, meistern lassen.